Englische Version: Adapted kitesurfing – a possible breakthrough?
Eigentlich kaum zu glauben, doch schon vor mehr als 15 Jahren wagten sich die ersten Rollstuhlfahrer mit Kites ins Wasser. Ich bin mal so frei und ernenne auch mich zu einem dieser Pioniere. Ich konnte die Entwicklung dieses Sports also hautnah miterleben und zum Teil auch mitgestalten. Egal wie ihr es nennen wollt – Rollikite, Handikite, Sitkite, Parakite oder adapted Kitesurfing – die Inkubationszeit des Kitesurfens in sitzender Form beträgt wohl 15 Jahre und mehr, denn erst jetzt scheint sich das Kitesurfen auch als Behindertensport endlich durchzusetzen.
Bis vor wenigen Jahren konnte man uns sitzende Kitesurfer noch an einer Hand abzählen. Zwar gab es immer wieder Versuche diesen Sport voranzutreiben, richtig fruchten wollten diese Bemühungen allerdings nicht. Hierfür sehe ich verschiedenste Gründe, auf die ich nun ein wenig näher eingehen möchte …
Extremsport Kitesurfen
Auch heute wird Kitesurfen noch als Extremsport gesehen. Vor mehr als einem Jahrzehnt traf dies bis zu einem gewissen Grad auch zu. Besonders im Bereich Sicherheit war das Kite-Material anno dazumal einfach noch nicht weit genug entwickelt. Horrorgeschichten von abgetrennten Gliedmaßen und tödlichen Unfällen waren stets im Umlauf.
Tatsächlich habe ich das damals ähnlich gesehen. Schmerzlich bewusst machte mir das letztens Markus Pfisterer – ein langjähriger Freund und Pionier des Sports. Als er sich vor vielen Jahren bei mir über das Rolli-Kiten informieren wollte, fiel mir nichts besseres ein, als ihm erstmal einen Dämpfer zu verpassen. Er möge es vorerst besser bleiben lassen – viel zu gefährlich das ganze. Zu meiner Entschuldigung: Ohne kompetente und motivierte Leute (wie ich sie an meiner Seite hatte) im Hintergrund, bergen unkoordinierte Kite-Versuche Risiken – speziell im Sitzen. Zum Glück ließ sich Markus nicht von mir abhalten.
Die Wahrheit ist: Kitesurfen ist bei verantwortungsvollem Verhalten kein besonders gefährlicher Sport. ‚Verantwortungsvoll‘ beginnt zum Beispiel einfach damit, einen Kurs bei gut ausgebildeten Kite-Lehrern zu machen und die dort gelehrten Grundregeln des Sports zu respektieren und einzuhalten.
Jedenfalls ist es bei diesem Ruf als Extremsport nicht verwunderlich, dass der Andrang zum Rollstuhl-Kitesurfen bisher nicht allzu groß war. Auch wenn der Faktor Mensch bleibt, haben sich Risiken wie auch die Schwierigkeit des Sports drastisch vermindert – das alles Dank beständiger Weiterentwicklung des Materials. Somit wurde also die Tür zum Kitesurfen für das sitzende Volk wieder ein Stück weiter aufgestoßen.
Großer Lernaufwand und wenig Schulungsangebot
Wenn andere Rollstuhlfahrer etwas über mein Hobby erfahren, gibt es verschiedenste Reaktionen – wie überall im Leben spielen sich diese zwischen übertriebener Bewunderung und einer gewissen Ignoranz ab. Eine Reaktion, die mir immer wieder unterkommt, lässt sich so ganz gut zusammenfassen:
Wow, klingt cool! Kann ich dein ‚Skyte‘ mal ausprobieren? Ich hätte am Sonntag Nachmittag Zeit.
„Nein, kannst Du nicht“ … schlucke ich dann in der Regel runter und erkläre, warum Kitesurfen kein sportlicher One-Night-Stand ist. Viele Sportarten kann man in der Regel schnell mal ausprobieren. Man fällt zwar nicht als Meister vom Himmel, doch man bekommt zumindest eine grobe Idee, worum es geht und ob es einem gefällt. Beim Kitesurfen muss man mehr Zeit und Energie investieren, bis man überhaupt erst im Board zum Sitzen kommt, geschweige denn autonom fahren kann.
Vor dem ersten Versuch mit dem Board, heißt es erstmal einige Stunden lang die Kite-Steuerung zu trainieren. Die Kontrolle des Kites ist besonders wichtig, er ist gewissermaßen Motor und Lenkrad in einem.
Im Anschluss kommt das Bodydragging. Um die Kraft eines Kites so richtig zu erfahren, lässt man sich zusammen mit einem Lehrer von einem Kite ohne Board durchs Wasser ziehen. Wer Western-Filme kennt, kann sich das gut vorstellen – im Kopf einfach Kutsche durch Kite und Schotterstraße durch Wasser tauschen.
Ist das geschafft, darf man endlich aufs Board: Erste Starts versuchen; die ersten Meter fahren; wieder Starts; wieder einige Meter; etc. Um den einen oder anderen Schluck Wasser kommt man in der Regel nicht herum.
Um am Wasser wirklich autonom sein zu können gilt es, vereinfacht gesagt, stets wieder dort aus dem Wasser kommen, wo man zuvor hineingegangen ist. Besonders wichtig ist dabei das sogenannte Kreuzen, also das im Zick-Zack-Kurs gegen den Wind Fahren.
Mich selbst kostete es damals zumindest 3 Jahre, bis ich endlich selbständig auf dem Wasser kiten konnte. Das Problem als Rollstuhlfahrer: Bis es soweit ist, dass man kreuzen kann, ist man auf ein Boot angewiesen. Der berühmte Walk-Of-Shame (zu Fuß mit dem Kite-Material gegen den Wind gehen) ist leider nur für Fußgänger eine Rückkehrmöglichkeit, wenn man zuvor in Lee – gewissermassen im Nirvana – ausgespuckt wurde. Wir brauchen also ein Boot, das uns wieder an den Startpunkt bringt. Auch das Wissen, immer jemanden an seiner Seite zu haben, fühlt sich anfangs wesentlich besser an als im Wasser auf sich allein gestellt zu sein.
Genau deshalb sind Kitesurf-Schulen mit passender Infrastruktur und speziell geschulten Kite-Lehrern so wichtig. Bis vor kurzem waren diese aber rar gesät. Zum Glück hat sich das in den letzten Jahren zu ändern begonnen. Da und dort sprießen vereinzelte Kite-Schulen aus dem Boden, die auch adaptierte Kitesurf-Kurse anbieten.
Material
Auch heute ist die Materialfrage leider noch Motivationsbremse. Bis vor wenigen Jahren gab es noch kein Material für uns Sitzende zu kaufen, weshalb die meisten Fahrer nach wie vor auf Eigenanfertigungen unterwegs sind. Auch scheiden sich beim Thema Kite-Sitz noch immer die Geister. Unter den aktiven Kitersurfern es gibt immer wieder hitzige Diskussionen darüber, worauf es bei einem guten Sitz wirklich ankommt.
Doch es hat sich etwas getan … Mittlerweile gibt es tatsächlich auch Kite-Sitze und Boards ‚von der Stange‘ zu kaufen. Der finanzielle Aufwand ist aber sehr hoch. Auch die Suche nach gebrauchtem Material bringt einen noch nicht allzu weit, da der Sport noch zu jung und wenig verbreitet ist. Als Rollstuhlfahrer muss man derzeit also zumindest mit einer Investition von rund 5000€ rechnen, um ins Kitesurfen einzusteigen. Definitiv eine enorme Hürde.
Informationsmangel
Die Kunde vom Kitesurfen als Behindertensport ist nicht sehr verbreitet. Otto-Normal-Kitesurfer wissen in der Regel nur selten, dass man Kitesurfen auch sitzend betreiben kann. Ich merke das immer wieder an den verwunderten Blicken am Strand, wenn ich aufs Wasser gehe. Auch gibt es kaum eine Session, bei der ich nicht von Passanten oder anderen Kitesurfern angesprochen werde. Das freut mich natürlich (zumindest in den meisten Fällen), zeigt aber auch die Unbekanntheit dieses Sports auf.
Generell läuft die Informationsverbreitung derzeit hauptsächlich über 2 Kanäle – soziale Netzwerke und Mundpropaganda. In klassischen Medien gibt es leider nur selten etwas zu sehen oder zu hören. Auch bei Fachmagazinen scheint das Interesse an dieser Facette des Kite-Sports gering zu sein. So schrieb ich selbst mal ein Magazin an, ob ich nicht den einen oder anderen Artikel über das Kiten für Rollstuhlfahrer schreiben könne. Ich wurde nicht mal einer Antwort gewürdigt.
Die Bekanntheit wächst – das Lernen wird leichter
Dies sind also die Ursachen, die das Kitesurfen als Behindertensport bisher in seiner Entwicklung gebremst haben. Umso mehr freut es mich, dass fast überall auf der Welt die Aktivität steigt und die Bekanntheit des Sports zu wachsen beginnt.
Zu verdanken haben wir das hauptsächlich einigen Fahrern selbst, die unermüdlich daran arbeiten, Kitesurfen bekannter und zugänglicher zu machen. Hier möchte ich besonders Christophe Martin (Frankreich), Markus Pfisterer (Schweiz) und Thierry Schmitter (Holland/Frankreich) erwähnen, die in den letzten Jahren – jeder auf seine Weise – sehr viel zur Entwicklung dieses Sports beigetragen haben. Neu im Boot aber nicht weniger aktiv ist der junge Holländer Willem Hooft.
Nicht vergessen möchte ich das zweite wichtige Standbein der Bewegung – jene Kitesurf-Schulen, die den Mut haben Sit-Kite anzubieten. Gerade diese Schulen schaffen es, dank Infastruktur (Boot, barrierefreie Sanitärräume, Sit-Kite-Material etc.) und Engagement, den Lernprozess für Rollstuhlfahrer wesentlich zu erleichtern und zu verkürzen. Hierbei möchte ich besonders folgende Schulen und Initiativen hervorheben:
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- Nieblumer Wassersport Schule – die Mutter der Sit-Kite-Schulen auf Föhr.
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- Surf Club Keros – barrierefreies Karibikfeeling auf der griechischen Insel Limnos
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- Handikite DFC arbeitet in Frankreich an der Verbreitung des Sit-Kite-Sports
- Altogarda – KITE ASD – die perfekte Destination am Gardasee
- Sail United e.V. – eine weitere Kiteschule im hohen Norden mit barrierefreiem Wassersport-Angebot
Ich denke hier die wichtigsten Player erwähnt zu haben, sollte ich jemanden vergessen haben, sei es eine Person, ein Verein oder eine Schule, dann möchte ich mich schon voraus entschuldigen. In diesem Fall bitte ich Euch aber mir dies zu kommentieren, damit dem nachgehen und gegebenenfalls Fehler beheben kann.
Ich bin fest davon überzeugt, dass jetzt die Zeit reif ist für den Durchbruch des adapted Kitesurfing. In diesem Jahr (2018) ist ein Stein ins Rollen gekommen, der sich so leicht nicht aufhalten lassen wird. Hoffentlich behalte ich recht.
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Links zum Text:
Fahrer (mit Web-Auftritt):
Thierry Schmitter: www.sitkite.com
Willem Hooft – Facebook: Willem Hooft – para Kitesurfing
Schulen & Vereine:
Nieblumer Wassersport Schule: nws-foehr.de
Surf Club Keros (Keros for all): surfclubkeros.com
Handikite DFC – Facebook (Französisch): Handikite DFC
Altogarda KITE ASD – Facebook: Altogarda – KITE ASD
Sail United e.V. – http://sail-united.eu/