English: Venezuela – Canaima & Salto Ángel
Im Jahr 2005 durfte ich 3 Monate in Venezuela verbringen. Das Abenteuer meines Lebens. Hier ein Bericht über den Ausflug in den Nationalpark Canaima und die Flussfahrt zum Salto Ángel.
Das im Norden Südamerikas gelegene Land Venezuela hatte in letzter Zeit einen sicheren aber bitteren Platz in den Tagesnachrichten inne. Eines der wohl ölreichsten Länder der Welt steckt in einer tiefen wirtschaftlichen und humanitären Krise. Hunger und Gewalt eskalieren. Das Volk ist gespalten.
Ich versuche mich so gut es geht auf dem Laufenden zu halten, doch es schmerzt. Denn Dank Land und Leute steht Venezuela für die bisher eindrücklichste und befreiendste Reise meines Lebens.
Als ich im Oktober 2005 auf die Isla Margarita reiste, galt das dort gelegene Dörfchen El Yaque noch als Mekka der Wind- und Kitesurfszene. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, endlich Kreuzen* zu lernen und damit zu beweisen, dass auch autonomes Kitesurfen mit Querschnittslähmung möglich ist. Statt zu kreuzen, durfte ich beim Scheitern dazulernen.
Da mir meine geringen Erfolgsaussichten auf sportlicher Ebene ziemlich schnell bewusst wurden, musste eine Planänderung her. Ich war immerhin in Venezuela. Warum sich dem Frust des Scheiterns hingeben, wenn man auch das Land erkunden kann?
Backpacking statt Kiteboarding
So wurde aus der Kite-Reise ein Backpacking Urlaub. Der erste Ausflug aufs Festland, auf die ‚Tierra firme‘, führte in den 30.000km² großen Nationalpark Canaima im Südosten Venezuelas. Ziel der Reise war der Salto Ángel, der höchste Wasserfall der Welt.
Insgesamt waren wir 4 Abenteurer, die von der „Posada La Iguana“ in El Yaque aufbrachen und mit einem rostigen Kahn aufs Festland übersetzten. Im Anschluss ging es in einer sechsstündigen Busfahrt in die Stadt Ciudad Bolivar, von wo aus uns eine 6-Sitzer-Cessna in den nur über den Luftweg erreichbaren Nationalpark brachte.
Der einstündige Flug gab schon einen Vorgeschmack auf das zu Erwartende – es ging über Savannen, dichten Regenwald und einen Wasserfall, den Salto Sapo. Eine atemberaubende Aussicht. Buchstäblich atemberaubend war auch die Landung, denn das Flugzeug setzte direkt aus dem Kurvenflug auf einer kleinen Schotterpiste auf. Ein Flugzeugwrack direkt neben der Landbahn machte klar, dass sicheres Landen hier keine Selbstverständlichkeit war.
Wet T-Shirt im Einbaum
Vom Basislager aus, wo wir den Großteil unseres Gepäcks zwischenlagerten, ging es in einem Einbaum flussaufwärts. 3 indigene Kapitäne sollten in der fünf Stunden dauernden Reise uns und das Boot sicher ans Ziel bringen. Das Landschaftsbild war auch hier eindrucksvoll. Aus dem anfangs breiten und ruhigen Fluss, der sich gemächlich durch die Grassavanne schlängelte, wurde bald ein schmaler, mit Stromschnellen gespickter Wildbach, der immer tiefer in den Regenwald und die Schluchten der Tafelberge, der Tepuis, führte.
Noch in der Savanne steuerte der Kapitän den Einbaum ans Ufer und wies das Gros der Passagiere an auszusteigen. Es galt eine Stromschnelle über den Landweg zu umgehen. Mir selbst blieb allerdings nichts anderes übrig als im Boot zu bleiben. Es würde sich gleich weisen, in welche Kategorie das nun auf mich zukommende Erlebnis einzuordnen wäre: Rollstuhl-Extrawurst oder Rollstuhl-A****karte. Es begann in mir zu kribbeln. Wir legten ab. Während ich mir vor Angst fast in die Hosen machte, dies jedoch in einer unglaublichen schauspielerischen Leistung mit Coolness zu kaschieren versuchte, steuerten die beiden an Bord gebliebenen Kapitäne die Nussschale routiniert durch die Stromschnellen. Nach diesen wenigen hundert Metern war mir nicht nur klar, warum an dieser Stelle der Fußweg zu bevorzugen ist, sondern auch weshalb das Marschgepäck vorsorglich in wasserdichte Müllsäcke verpackt worden war. Während ich mich so gut es ging im Holz festkrallte, um nicht über Bord zu gehen, wusch eine nach der anderen Welle ins Boot und bescherte mir eine 2. Taufe. Kurz später, als die anderen Passagiere wieder trockenen Fußes zustiegen, war ich triefend nass … mein trockenes Gepäck im Basislager.
Hängematten im Regenwald

Am frühen Nachmittag erreichten wir das Ziel der Flussfahrt, das Lager am Salto Ángel. Nicht mehr als einen Kilometer entfernt stürzte der höchste Wasserfall der Welt knapp 1000 Meter in die Tiefe. Die freundlichen Kapitäne trugen mich noch über die Uferböschung ins Camp, bevor sie sich mit dem Rest der Gruppe zu Fuß zum Wasserfall aufmachten. Auch wenn ich es schade fand, dass mir dieses Tüpfelchen auf dem i verwehrt bleiben sollte, konnte ich den Anblick des Wasserfalls zumindest von der Ferne aus genießen. So nutzte ich die Zeit, um die nassen Klamotten zum Trocknen über eine zwischen zwei Äste gespannte Wäscheleine zu hängen und es mir im Lager gemütlich zu machen.

Das Camp selbst war ein auf Holzpfosten sitzendes Wellblechdach – offen zur umgebenden Natur. Lediglich die Plumpsklos – Holzbänke mit einem Loch und einem Eimer darunter – boten den Luxus von Wänden umgeben zu sein. So wird sogar Pinkeln zum Ereignis.
Da es keinen Strom gab, wurde uns zum Abendessen am offenen Feuer gegrilltes Huhn serviert. Im Anschluss saß die Gruppe noch beisammen und plauderte oder spielte Karten bevor es an der Zeit war, sich zur Nachtruhe in die Hängematten zurückzuziehen.

Den Geräuschen des Waldes lauschend begann ich langsam wegzudämmern, wurde mitten in der Nacht aber durch ein lautes Rauschen aufgeweckt. Es regnete in Strömen und das Wasser plätscherte nur so über den Rand des Daches herab. Meine sofortige aber dennoch späte Erkenntnis: Es war nicht die beste Idee gewesen, meine Kleidung über Nacht im Freien zum Trocknen hängen zu lassen. Der Begriff ‚Regenwald‘ hätte eigentlich Hinweis genug sein müssen.
Wasserfälle und haarige Bekanntschaften

Da meine Kleidung am folgenden Morgen noch immer oder besser, schon wieder durchnässt war, trat ich den Rückweg in Badehose und einem geliehenen T-Shirt an. Mag dies zwar kein modischer Volltreffer gewesen sein, so brauchte ich mich zumindest nicht mehr um die feucht-fröhlichen Streckenabschnitte zu sorgen.
Zurück im Basislager nutzten wir noch die Gelegenheit, uns den Wasserfall ‚Salto Sapo‘ aus der Nähe anzusehen. Mit dem Boot ging es so nah an den Wasserfall, dass man die Gischt der herabstürzenden Wassermassen auf der Haut spüren konnte. Auch wenn dies wahrscheinlich nicht annähernd an den Salto Angel herankommen konnte, empfand ich es dennoch als nachgeholtes i-Tüpfelchen und kehrte Grund zufrieden wenn auch abermals triefend nass zum Lager zurück.
In der letzten Nacht vor dem Rückflug wurden wir in einem Mehrbettzimmer im Basislager einquartiert. Diesmal mit 4 soliden Wänden und einem unerwarteten Haken. Denn kurz vor Schlafenszeit, wir waren jeweils schon mit einem Bein in den Stockbetten, bemerkte jemand einen schwarzen Schatten über die Wand huschen. Es stellte sich heraus, dass abgesehen von uns auch eine Handteller große Tarantel in diesen Gemäuern hauste. Der Gedanke des Nachts plötzlich etwas großes und haariges über den Körper krabbeln zu spüren, war beim Einschlafen nicht allzu hilfreich. Natürlich habe ich trotzdem tief und fest geschlafen – muss stimmen, sonst stünde es hier ja nicht geschrieben.
Holpriger Rückflug und eine Hiobsbotschaft
Nach einer Nacht mit nur durchschnittlichen Erholungswert fanden wir uns am folgenden Morgen pünktlich um 10:30 am Flugfeld ein, um aus dem Nationalpark ausgeflogen zu werden. Dass aus 10:30 schließlich 13:00 Uhr wurde und das Flugzeug nicht dem der Anreise entsprach, machte uns in diesem Moment keine großen Gedanken – wer sich gerade ein Zimmer mit 8 unrasierten Beinen geteilt hat, nimmt sich und den Rest der Welt erstmal nicht ganz so ernst.
Diese entspannte Haltung änderte sich dann doch wesentlich schneller als geahnt – konkret direkt nach dem Abheben. Die Turbulenzen fielen zum Teil so stark aus, dass wir immer wieder den Sitzkontakt verloren und nur mehr in den Gurten hingen. Auch erinnere ich mich, mich mit beiden Händen gegen die Decke gestemmt zu haben, um zumindest ein wenig Stabilität aufrecht zu erhalten. Zusammengefasst: Der Flug war ein Alptraum. Nach der Landung in Ciudad Bolivar waren jedem einzelnen die Strapazen anzusehen. Mit weiß grünlich verfärbten Gesichtern dankten wir den Göttern, endlich wieder festen Boden unter den Füßen bzw. Reifen zu haben.

Dabei hatten wir die Hiobsbotschaft noch gar nicht erhalten. Denn was wir nun erfahren sollten, verschlug uns endgültig die Sprache. Eigentlich hätten wir den Hin- und Rückflug im gleichen Flieger bestreiten sollen, doch die Maschine, die uns auch wieder abholen hätte sollen, war verschollen, wie vom Erdboden verschluckt. Sie sei zwar gestartet, doch gelandet sei sie nirgendwo, erklärte uns der Ersatzpilot, der noch kein Lebenszeichen von seinem Berufs-Kollegen erhalten hatte. Mag uns diese Nachricht zwar nicht mehr direkt betroffen haben, fühlte sich das ganze doch ziemlich nach Final-Destination an, der unausweichlichen Endstation im kinematographischen Sinne. Zum Glück wurde der kommende Streckenabschnitt wieder im Bus zurückgelegt – ganz ohne Sensenmann.
Der Abschied
Während der Busfahrt an die Küste hatten wir jedenfalls genug Zeit, den Schock des verschwundenen Fluges zu verdauen. Wir hingen schließlich noch zwei Tage im Nationalpark Mochima an, wo wir gemeinsam schnorchelten bevor sich unsere kleine Gruppe endgültig auflöste und in alle Himmelsrichtungen verteilte. Da eine Gefährtin zum Flughafen nach Caracas musste, nutzte ich die Gelegenheit und begleitete sie bis zum Busbahnhof der Hauptstadt. Ich selbst mietete mich im Anschluss in einem Hotel in dem Stadtteil Bellas Artes ein und verbrachte noch einige Tage in Caracas, einer Stadt, die mich zugleich begeisterte und verängstigte. Doch dazu ein anderes mal … Vielleicht.
* Im Zick-Zack-Kurs gegen den Wind fahren