Am Tiroler Achensee ist der inklusive Segelsport auf dem Vormarsch. Hier ein erster Eindruck …
English: 2.4mR – inclusive sailing on lake Achensee
Wandern, Klettern, Mountainbiken, Rodeln, Snowboarden, Skifahren, Skifahren, Skifahren … Skifahren – Tirol ist bekannt als Freizeitparadies für aktive Menschen. Segeln wird meist aber nicht mit dem heiligen Land in Verbindung gebracht. Und das obwohl der Segelsport in Tirol viel Tradition hat.

Gesegelt wird hauptsächlich am Achensee, nördlich der Gemeinde Jenbach. Von Frühsommer bis Herbst lockt der bis zu 133 Meter tiefe See¹ mit thermischen Winden und einer atemberaubenden Kulisse. An manchen Ecken erinnert das Gewässer mit seinem kräftigen Türkis sogar ein bisschen an die Karibik – dass das (Süss-)Wasser nur selten die 20° Grad-Marke erreicht und sich der See auf einer Höhe von 926 Metern über dem Meeresspiegel befindet, lassen wir mal beiseite.¹ Korsaren, Tornados, Optimisten und andere Bootsklassen verkehren regelmässig in diesen hoch gelegenen Gewässern. Vor einigen Jahren hat sich aber eine weitere Klasse ihren Platz auf dem Wasser erkämpft.
Easy to sail but a challenge to race²

Die Rede ist von 2.4mR Booten, die sich auch ganz einfach von Menschen mit Behinderungen segeln lassen. Je nach individuellen Bedürfnissen lassen sich diese Boote an deren Seglerinnen und Segler anpassen. Querschnittgelähmte Sportler, die sich im Alltag im Rollstuhl fortbewegen, nutzen die Handsteuerung. Bei Amputationen oder anderen Einschränkungen der oberen Extremitäten wird das Boot mit Fusssteuerung gesegelt. Das spannende am 2.4mR Segeln ist, dass es wohl eine der inklusivsten Sportarten ist, die derzeit aktiv ausgeübt werden. Egal welche Behinderung oder Nicht-Behinderung die Segler haben, bei einer Regatta starten alle im gleichen Feld. Mentale Stärke, Taktik und Verständnis von Wind und Material sind, so habe ich mir sagen lassen, wesentlich wichtiger als physische Eigenschaften.
Formel 1 ohne Motor
Sich zum ersten Mal in ein 2.4mR Boot zu setzen ist eine besondere Erfahrung. Man sitzt mit Blick in Fahrtrichtung in einer Art Cockpit und hat alle Bedienelemente vor sich. Der Baum, an dem die Unterseite des Segels montiert ist, schwingt über dem Kopf hinweg. Wasserscheu sollte man beim 2.4mR Segeln jedenfalls nicht sein, denn das Boot ist buchstäblich nah am Wasser gebaut. Im Cockpit sitzend befindet sich der Kopf wohl keinen halben Meter über dem Wasserspiegel, die Beine (wer hat) vielleicht sogar unterhalb. Sobald sich die Segel blähen und das Boot Fahrt aufnimmt, hört man, neben Wind und dem metallischen Geklimper des Riggs, auch ein stetes Wasserplätschern. Wie im Warteraum des Lieblings-Homöopathen.

Kommt etwas mehr Wind auf, wird es noch interessanter. Das Klimpern wird lauter und das Boot bekommt erstaunlich viel Speed. Auch schwappt immer wieder ein wenig Wasser ins Cockpit und es entsteht Krängung. Das heisst, das Boot bekommt Schräglage und neigt sich dem Wasser entgegen. Ich gebe zu, das ist Anfangs etwas unheimlich, bringt aber auch ein gewisses Kribbeln. Dass 2.4mR Boote unsinkbar sind und nicht kentern können, erleichtert dabei sehr. Mehr als von oben bis unten durchnässt zu werden, kann also nicht passieren.
So unterhaltsam das freie Segeln auch sein mag, die wahren Eigenschaften des Sports kommen erst beim Regatta-Segeln zum Vorschein. Es gilt Wind und Gegner gut im Auge zu behalten und das Regelwerk des Sports so gut es geht zum eigenen Vorteil zu nutzen, um Kontrahenten auszustechen und am Ende als erste(r) über die Ziellinie zu fahren. Schach am Wasser. Das ist das eigentliche Suchtpotenzial für Segelfans. Für diese gab es letztens aber eine bittere Pille zu schlucken, denn seit Rio 2016 ist Segeln vorerst leider nicht mehr paralympisch. Hoffnung gibt erst wieder nach den Spielen von 2024 in Paris.
Doch zurück nach Tirol

Am Achensee wurde diese Form des Segelns im Segelclub TWV unter Federführung des Segel-Enthusiasten und heutigen Trainers Reini Glanz initiiert. Was mit dem Entstauben der Vorgänger Klasse (Mini-12er) begann, entwickelte sich bis heute zu der wohl grössten Flotte an 2.4mR Booten in Österreich. Dieser Erfolg kam allerdings nicht von ungefähr: Vom Präsidenten des Vereins, Michael Warminger, über Reini Glanz bis hin zu jedem einzelnen Clubmitglied und natürlich den aktiven Sportlerinnen und Sportlern wurde viel Schweiss und Blut investiert, um diese Entwicklung möglich zu machen. Rollstühle, ob leer am Steg oder gefüllt in der Kantine, sind heute vom TWV nicht mehr wegzudenken.
Gesegnete Anlage
Apropos TWV, ein genauerer Blick auf die Anlage des Segelvereins lohnt sich. Das von der Kirche gepachtete Grundstück liegt direkt am See und beherbergt selbstverständlich jegliche fürs Segeln notwendige Infrastruktur. Herzstück ist das im 18. Jahrhundert erbaute Prälatenhaus, das mit seinem barocken Stil durchaus Blicke auf sich zieht.³ Die grosse Liegewiese vor dem Vereinshaus lädt bei schönem Wetter zum Sonnenbaden ein. Sollte es mal zu heiss werden, kühlt ein Sprung in den See mit Sicherheit ab. So kalt! Für das leibliche Wohl wird in der Kantine gesorgt. Kaffee, Süsses oder herzhafte Speisen … am TWV verhungert niemand.
Auch wenn das Prälatenhaus nicht zu 100% barrierefrei ist, die wichtigsten Räumlichkeiten erreicht man auch im Rollstuhl mit Leichtigkeit. Kantine, Stube und Büro befinden sich allesamt im Erdgeschoss und sind stufenlos befahrbar. Sogar ein barrierefreies WC steht den Mitgliedern zur Verfügung, leider aber nur im Damen-WC. Es soll schlimmeres geben.


All jenen, die es nicht mehr erwarten können sich in die Fluten zu stürzen, lege ich ans Herz zum Hörer zu greifen oder in die Tasten zu hauen. Kontaktpersonen sind Martina Eder (martina.eder@auva.at), Obfrau des RSCTU, und selbstverständlich Reini Glanz (reiniglanz@hotmail.com; Tel: +43 6767553430). Ausprobieren lohnt sich auf alle Fälle.
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Weitere Informationen unter:
- SCTWV Achensee: www.sctwv.at
- Rollstuhl-Sport-Club-Tirol: rsctu.at
- www.2punkt4.de
Verweise:
¹ vgl. de.wikipedia.org/wiki/Achensee
² www.2punkt4.de
³ vgl. www.geschichte-tirol.com