Die Nieblumer Wassersportschule auf Föhr ist die Mutter aller Sitkite-Schulen. Hier ein kurzer Überblick.
English: The island of Föhr – an adaptive kiteboarding Spotguide
Nieblum auf Föhr … ein Ort, den wohl nicht allzu viele kennen, auf einer Insel, die wohl nicht allzu viele kennen. Je nach Tide werden manche während der Überfahrt vom Festland nicht darum herum kommen, ungläubig die Augen reiben. Dort wo eigentlich das Meer sein sollte, scheint die Fähre förmlich über Sand zu schweben. Abgesehen von einigen Wasserpfützen und den für die Schifffahrt ausgehobenen Kanal, erstreckt sich diese sandige Einöde bis zum Horizont.
Auf der Insel angekommen beginnt es nach ungefähr zehn Minuten Fahrt laut unterm Auto zu poltern. Willkommen in Nieblum. Es ist wie eine Zeitreise, bei der der Anblick von Pferdekutschen nicht verwundern würde. Über die gepflasterte Straße geht es vorbei an alten, mit Reet gedeckten Häusern. Auffallend viele Fahrradfahrer verkehren an diesen mit Bäumen gesäumten Wegen. Doch nicht alle Drahtesel-Lenker wirken sattelfest in ihrem Tun, weshalb man ganz automatisch beginnt langsamer zu fahren. Vor dem Gemüsestand des Supermarkts herrscht reges Treiben. Der tägliche Einkauf ist mehr soziales Event denn notwendige Pflicht. Es wird fleißig getratscht. Wobei: An der Nordsee wird nicht getratscht, es wird geschnackt (für Alpenländer ein Wort mit Potential für pikante Missverständnisse).
Keine Angst vorm Seebär

Wir schnacken vorerst aber nicht mit, sondern fahren direkt weiter an den Strand – zur Nieblumer Wassersportschule. Keine 2 Kilometer außerhalb des Ortes kann man gleich hinter dem Deich einige Bretterbuden mit Wind- und Kitesurfmaterial erkennen. Dank eines Holzstegs lässt es sich im Rollstuhl entspannt zum Empfang kullern. Noch ist nicht viel los. Zwei, drei Leute sitzen vor der Hütte an einem runden Tisch, trinken Kaffee und … schnacken. Wie sich herausstellt handelt es sich hierbei um das Team der Schule, das noch die Ruhe vor dem Sturm genießt. Es ist Morgens und Niedrigwasser, es wird also noch einige Stunden brauchen bis die sommerliche Strand-Hektik ausbricht.

Beim Anblick des Neuankömmlings erhebt sich einer der Gruppe und grüßt mit einem knappen ‚Moin‘. Es ist Dirk Hückstädt, der Besitzer der Schule – Stimme und Anblick passen perfekt zu einander. Ein Seebär mit stoppeligem Dreitagebart und einer Stimme wie Schleifpapier – nicht mit Joe Cocker verwandt. Hücki, so der Spitzname, leitet den seit 1977 existierenden Familienbetrieb seit knapp zwei Jahrzehnten und ist einer der Gründerväter des Kitesurfens für Rollstuhlfahrer. Es gibt derzeit wohl kaum jemanden, der mehr Erfahrung im Unterrichten von Sitkitesurfing hat als er.
Dem rauen ersten Eindruck zum trotz ist das Eis schnell gebrochen. Nachdem Platz für den Rollstuhl gemacht und dem Gast eine Tasse Cappuccino vor die Nase gestellt wurde, beginnt Hücki in aller Gemütlichkeit zu erklären, wie der kommende Kite-Kurs grob aussehen wird. Dass er dazu neigt abzuschweifen, nimmt ihm dabei niemand übel. Im Gegenteil, es wird mucksmäuschenstill, denn Hücki ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, der auch das Stilmittel der Übertreibung geschickt einzusetzen vermag. Eine knappe Stunde später sind die wichtigsten Details geklärt und der Kurs kann losgehen. Es geht mit Trockenübungen los, was gleich doppelt Sinn macht. Erstens gibt es noch kein Wasser und zweitens muss die Steuerung des Kites perfekt sitzen bevor es ins Meer geht.
Gezeiten zum Zähneknirschen
Dass es sich auf Föhr um ein tidenabhängiges Revier handelt, ist zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftig. Es ist ein komisches Gefühl, wenn der Wind einem mit konstanten 20 Knoten um die Ohren weht aber kein Wasser in Sicht ist. Schließlich ist man ja am Meer – zumindest theoretisch. Hat man diese örtliche Besonderheit erst mal verdaut, beginnt man aber schnell dessen Vorteile zu erkennen und kann vielleicht auch erahnen, weshalb die Inselbewohner so sind, wie sie sind. Diese zeichnen sich durch ihre entspannte, wenn auch direkte Art aus. Einen Föhrer aus der Ruhe zu bringen ist schwierig … aber möglich. Egal wie, man weiß immer, wo man steht.

Hardcore Kite- und Windsurf Freaks, die nur an das Eine denken (das andere Eine), sollten auf Föhr ein wenig an deren Grundeinstellung schrauben, um den Aufenthalt genießen zu können. Idealerweise wird Wassersport nur als ein Teil des Puzzles gesehen. Ein weiteres Teil ist das Seele-Baumeln-Lassen. Dies klappt am besten indem man erstens die Geschwindigkeit drosselt und sich zweitens so gut wie möglich verwöhnt … ohne Schuldgefühle. Eis, Waffeln, Grillen, Bier, Faulenzen am Strand … auf die Idealfigur sei erstmal gesch***en. Die paar Extra-Kalorien verbrennen bei der nächsten Session sicher wieder. Natürlich kann man sich auch im Trockenen gut sportlich betätigen. Denjenigen, denen das Gehen vergangen ist, empfehle ich ein Handbike mitzubringen. Mit über 200 Kilometern Fahrradwegen¹ und einer maximalen Erhebung von 13,2 Metern², ist die grüne Insel perfekt zum Radeln und Handbiken. Auch Reiten, Tennis und Golf sind Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben.

Nichtsdestotrotz lässt sich Niedrigwasser auch mit Kite nutzen. An umlüfteten Tagen mit Vollspeed übers Watt und durch Pfützen zu rauschen macht extrem Spaß und hinterlässt Spuren. Sand überall … der macht sich auch bei der nächsten Mahlzeit knirschend bemerkbar. Dank eines adaptierten Buggys mit Handsteuerung können sich selbstverständlich auch Rollstuhlfahrer sandstrahlen lassen und dabei einiges fürs Kiten am Wasser lernen.
Ein weiterer Vorteil der starken Gezeiten: Föhr ist ideal für Pärchen und Familien. Man bekommt die Wasserratte auch mal weg vom Strand, ohne dass diese zappelig und unrund wird sobald auch nur ein Hauch Wind zu erkennen ist. Kein Wasser, kein Kiten. Absolut krisensicher. Das Meer regelt die Agenda:
Niedrigwasser = Zeit zu zweit.
Hochwasser = „Weißt Bescheid“
Pflicht und Kür perfekt vereint.
Adaptive Kiteboarding

Doch kommen wir wieder zurück zum Kiten. Wie sieht das Procedere für eine adaptive Kiteboarding Session aus?
Steckt man schon in der Gummi-Pelle, geht es über eine Holzrampe durch die Dünen an den Strand. Am Ende des Stegs angekommen wird auf einen adaptierten Kitebuggy umgewechselt, in dem es dann weiter bis zur Wasserkante geht. Auch wenn das Rettungsboot immer bereitsteht, ist Hücki bei der Schulung meist zu Fuß unterwegs. Aufgrund der geringen Wassertiefe am Nieblumer Strand hat sich diese Methode im Laufe der Jahr als die effizienteste herauskristallisiert. Um dennoch größtmögliche Sicherheit garantieren zu können, wurde das Schulungssystem an die lokalen Gegebenheiten angepasst.

Beim Bodydragging hakt sich der Lehrer am Trapez der Schüler ein, um ihnen Stabilität und Sicherheit zu geben. Auch bei den ersten Fahrversuchen mit Board hält sich Hücki am Sitz fest und lässt sich mitziehen. Erst wenn die Schüler ausreichende Kite-Beherrschung unter Beweis gestellt haben und die Bedingungen ein rasches Eingreifen erlauben, wird losgelassen. Ist dieser Punkt erreicht, gibt es nur ein Ziel: So weit fahren, wie möglich. Orgasmisch.
Kalte Dusche
Wie viel Zeit man sich nach der Session fürs Umziehen und Duschen nimmt, ist Wetter abhängig. Bei warmen Temperaturen kann man gerne trödeln und sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Bei kaltem Wetter und vielleicht sogar Regen (der von der Seite kommt) möchte man sich lieber beeilen oder sich gar unter der warmen Dusche im Hotel von der zweiten Haut befreien. Den Schnack am Strand kann man ja auf später verschieben. Licht hat es so weit im Norden auch Abends genug, um noch der einen oder anderen Geschichte von Hücki zu lauschen bevor es ins Bett geht – oder ins „Olympic“, der angesagtesten (weil einzigen) Disko der Insel.

Was sich einige schon gefragt haben werden: Wie sieht es denn mit der Infrastruktur der Schule fürs rollende Volk aus? (Nein – Fahrradfahrer sind nicht gemeint.)
Wie schon erwähnt, ist die Nieblumer Wassersportschule mit einem guten Netz an Holzstegen ausgestattet, um Rollstuhlfahrern den Weg über Sand und Dünengras zu erleichtern. Etwas abseits der Schule, direkt neben dem Parkplatz des Strands, befindet sich ein barrierefreies WC. Geduscht wird auf einem Plastikstuhl unter einer der Freiluft-Duschen. Wichtig ist nach dem Aufdrehen des Hahns die ersten paar Sekunden so gut wie möglich auszukosten bevor das durch die Sonne aufgeheizte Wasser beginnt abzukühlen. Erfrischung garantiert.
Auch wenn ich hoffe, in den vorangegangenen Zeilen klar gemacht zu haben, welch ein verstecktes Juwel dieses nordfriesische Eiland ist, möchte ich jenen Leserinnen und Lesern, die es bis hierher geschafft haben noch einmal verdeutlichen, welch …
… warum eigentlich? Juwel sollte doch schon alles gesagt haben. Wer jetzt noch nicht gecheckt hat, wie sehr sich eine Reise nach Föhr lohnen würde, dem kann ich auch nicht mehr helfen. Es bleibt mir also nur noch, mich ganz standesgemäß mit einem Moin, Moin zu verabschieden.
Steckbrief Nieblumer Strand:
Saison:
Die Schule ist in der Regel von Ostern bis Oktober geöffnet. Trotzdem ist Sommer bis Frühherbst aus Temperatur-Gründen für Rollis empfehlenswert. Wichtig ist auch, sich vor der Anreise mit der Schule in Verbindung zu setzen. Um einen adaptive Kiteboarding Kurs durchführen zu können, müssen erst die zeitlichen und personellen Ressourcen geschaffen werden.
Wind:
Hauptwindrichtung ist West – in Nieblum also Wind von rechts. Abgesehen von Nordwind ist jede Windrichtung surfbar. Auch wenn es immer wieder mal mit 6+ ballert, ist auf Föhr hauptsächlich mit Windstärken zwischen 4 und 5 zu rechnen. In der Nieblumer Wassersportschule gibt es auf Fragen nach dem Wetter nur eine passende Antwort – egal bei welchem Wetter: „Sonne 6 – es hackt.“ Ein Running-Gag. Probiert es mal aus.
Besonderheiten und Gefahren:
Größte Besonderheit ist die Tidenabhängigkeit des Spots. Pi mal Daumen ist der Spot 3 Stunden vor bis 2 Stunden nach Hochwasser nutzbar. Grundsätzlich ist der Nieblumer Strand sehr sicher – wenig Strömung, wenig Verkehr, moderate Winde. Aufzupassen gilt es lediglich auf die Steinbuhne am Strand, die sich bei Hochwasser auch mal unter der Wasseroberfläche versteckt. Eine Fahne an der Buhnenspitze hilft bei der Orientierung. Ansonsten ist es ratsam die Fahrrinne der Fähre zu meiden. Diese befindet sich zum Glück aber recht weit draußen.³
Sitkite-Material:

An der Nieblumer Wassersport Schule gibt es selbstverständlich auch Sitkite-Boards. Diese mögen vielleicht nicht mehr 100% state of the art sein, sind aber gut gepflegt und zum Erlernen des Sitz-Kitens durchaus ausreichend. Seien wir ehrlich: Wer vom Kite-Fieber gepackt wird, kommt über kurz oder lang nicht um ein eigenes, gut angepasstes Board inkl. Sitz herum.
Barrierefreie Unterkünfte:
Gerade mal 500 Meter entfernt von der Nieblumer Wassersportschule befindet sich das Gästehaus Osterheide. Hier kann man sich in eine von 4 barrierefreien Ferienwohnungen einmieten.
Und für Nostalgiker: Chairveza 2006 – unFöhrzichtbareNordseenswürdigKiten
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Verweise:
¹ siehe www.foehr.de
² siehe wikipedia.org
³ vergl. nws-foehr.de und surfspot.de