Spotguide El Médano – eine Themenverfehlung

Ursprünglich als Spotguide geplant, wurde der folgende Artikel doch eher zu einer Charakterstudie des kleinen Städtchens El Médano auf Teneriffa.

Hier zur Englischen Version: El Médano – not quiet a spotguide

Man stelle sich ein kleines, malerisches Fischerdorf auf der kanarischen Insel Teneriffa vor. Während die meisten Bewohner des Ortes noch tief schlafen, fahren die Fischersleute noch bei Dunkelheit aufs Meer, nur gefolgt von einigen Delphinen, die sich einen kleinen Anteil der Beute erhoffen. Ein wenig später, wenn der Bäcker seine Pforten öffnet und der Duft von frischem Brot über den Hauptplatz weht, trifft man sich auf ein Frühstück mit einem Café con leche und tauscht sich über die Neuigkeiten der letzten Tage aus. Man kennt einander.
Das ist El Médano.

… nicht wirklich aber irgendwie muss man ja anfangen.

Malerisch trifft es wohl nicht ganz, zu auffällig sind die Bausünden der 70er und 80er. Genau so lange ist es wohl her, dass die letzten Fischer auf See gefahren sind. Dennoch, El Médano hat seinen ganz besonderen Charme, der sich manchen vielleicht erst auf den 2. Blick eröffnet.

Größere Gebäudekomplexe direkt am Meer.
Die ‚Skyline‘ von El Médano: Ein schönes Foto architektonischer Fehltritte.

Die Düne

Der Ortsname, zu Deutsch ‚Die Düne‘, trifft es ganz gut. Dank seiner besonderen geografischen Lage und den stets wehenden Passatwinden, den Alisios, findet man rund um El Médano die größten natürlichen Sandstrände der Insel. Düne, verstanden als sich immer im Wandel befindende Wanderdüne, passt auch gut den Bewohnern des Örtchens – es herrscht ein stetes Kommen und Gehen. Globetrotter. Aussteiger. Windhungrige.  Diese Leute sind es, die El Médano so besonders machen … es ist schwer zu beschreiben, vielleicht aber passt das Bild eines Potpourris nicht schlecht. So unterschiedlich die Einzelteile sein mögen, ergeben sie zusammen doch eine harmonische Komposition. Man hält zusammen. Man kennt einander.

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Ein typischer Tag an der Promenade.

Ein Spaziergang an der Strandpromenade macht das deutlich. Der lokale Arzt mittleren Alters unterhält sich vergnügt mit dem jungen venezolanischen Kitesurf Lehrer über die viel zu böigen Bedingungen – es gehört zum guten Ton, sich über den Wind zu beschweren. Später rollt der alt eingesessene holländische Windsurflehrer gemächlich auf seinem Fahrrad vorbei und hebt dem Straßenkünstler, der in einer Höhle nicht unweit des Ortes lebt, kurz die Hand zum Gruße. Noch ein schnelles ‚Hola, qué tal?‘ an die italienische Bedienung der Strandbar und weiter geht die Fahrt. Man kennt einander.

Alisios – die Retter des Friedens

Natürlich gibt es auch Touristen. Dafür aber, dass El Médano mit weitläufigen Sandstränden und fast endlosen Sonnenstunden glänzt, hält sich der Ansturm in Grenzen. Massentourismus, wie in den Touristenzentren des Südens, gibt es hier nicht. Auch das hat wohl mit den Alisios zu tun. Jenen Touristen, deren Hauptaktivität darin besteht, sich wie mit Bier begossene Spanferkel im Halb-Stunden-Takt zu wenden, ist es zu windig. Fliegender Sand, kombiniert mit Sonnencreme und Schweiß, ist bei der Suche nach nahtloser Röte nicht erstrebenswert. Auch wenn man grundsätzlich schon gut durch ist, scheint Panade doch ein Schritt zu weit.

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Dresscode: Shorts und Neos

El Médano zieht also auch touristisch gesehen ein besonderes Publikum an. Da gibt es die Insulaner und Festland-Spanier, die den Ort zu Ferienzeiten und an Wochenenden frequentieren. Deren Motiv: Sonne, Strand & Fiesta. Sie sorgen dafür, dass die Region auch in der Hauptsaison ihren spanischen Touch nicht verliert.
Neben diesem mehr oder weniger lokalen Publikum, sind es aber Wassersport Fans, die das Bild prägen. Mögen Alter, Herkunft oder sozialer Status verschieden sein, am Strand spielen sie kaum eine Rolle. Keine Anzüge, keine Kittel, keine Blaumänner – statt dessen Flip Flops & Boardshorts. Die Liebe zum Wasser verbindet. Man kennt einander.

Perpetuum Mobile

Aussteiger. Touristen. Hippies. Sportler. Freigeister. El Médano ist ein Perpetuum Mobile der Gelassenheit – die Entspanntheit des Ortes überträgt sich auf die Menschen und umgekehrt. Henne – Ei – Egal. Mag man manchmal auch ein wenig länger auf seinen Kaffee warten, gilt es einfach sich folgendes zu vergegenwärtigen: „Prisa mata“ – Stress killt. Eine Wahrheit, die manche, von der Eile des Alltags getriebene Menschen auf die harte Weise lernen müssen, dann aber doch genießen … alles braucht seine Zeit.

Apropos auf Kaffee warten. Wenn es auch nicht immer schnell geht, denkt daran, dass die Beschäftigungsverhältnisse auf den Kanaren nicht mit jenen in Deutschland oder Österreich zu vergleichen sind. Viele Menschen auf Teneriffa stehen unter einem enormen Druck. Die Arbeitsbedingungen grenzen oft an Ausbeutung. Feste Arbeitsverträge sind die Ausnahme (2017 waren nur ca. 1/8 aller Verträge unbefristete).¹ Abgesehen davon entsprechen die in den Verträgen aufgeführten Arbeitsstunden oft nur einem Bruchteil der tatsächlich geleisteten Stunden¹, der Rest wird schwarz gezahlt². Unabhängig davon, ob man den Fehler im System oder bei den Arbeitgebern sieht, für die Arbeitnehmer bedeutet dies Einbussen beim Krankengeld, Arbeitslosengeld, der Abfindung sowie der Rente.² Bedenkt man nun noch den niedrigen Stundenlohn und die durch den Boom der Ferienwohnungen (Airbnb & Co.) massiv gestiegenen Mieten, kann man sich vorstellen, dass die Daumenschrauben für viele Einheimische massiv angezogen sind. Krank werden ist nicht, man lebt von der Hand in den Mund.
Kurz: Ein Leben am Existenzminimum und das Fehlen an sozialer Sicherheit sind keine besonders hilfreichen Faktoren, wenn es um Arbeitsmotivation geht. Vielleicht lohnt es sich, dies beim nächsten Trinkgeld zu bedenken.

Neben dem Strand sieht man den Montaña roja und einen Teil der Strandpromenade.
Die Dünenlandschaft mit dem Montaña roja im Hintergrund.

Letztlich kann man während dem Warten auch einfach mal die Seele baumeln lassen und die Aussicht genießen. Denn, unabhängig von den erwähnten Bausünden, hat El Médano eindeutig auch etwas fürs Auge zu bieten – rein landschaftlich gesehen natürlich. Ein Blick über die Bucht bei Sonnenuntergang mit dem ‚Montaña roja‘ (roter Berg) im Hintergrund sollte hier zur Bestätigung ausreichen.
Dieser Anblick lässt sich auch hervorragend in einer Strandbude, einem ‚Chiringuito‘, genießen. Während sich die letzten Kiter und Windsurfer noch am Wasser austoben, trinkt man entspannt ein frisch gezapftes Bier direkt am Strand. Wer möchte, mischt sich unters Volk – Sprachbarrieren hin oder her, ein kurzer Plausch klappt immer. Wer es aber ruhiger bevorzugt, kann das rege Treiben auch einfach beobachten und auf sich wirken lassen. Entspannung steckt an.

Ameisenhügel

Nur an windigen Tagen verwandelt sich der Ort plötzlich in einen überdimensionierten Ameisenhügel. Boards, Kites, Segel und Masten werden dann emsig von A nach B  und wieder zurück transportiert, es wuselt gerade zu.

Viele Kites und Segel liegen am Strand verteilt.
Kites und Segel wohin man auch schaut.

Zwischendurch bleiben manche Ameisen (ganz in schwarz gehüllt) kurz nebeneinander stehen. Es wirkt fast als würden sie kommunizieren, denn kurz darauf dreht eine wieder um, nur um ein paar Minuten später mit ganz anderem Material über dem Haupt zurückzukehren. Ein absolutes Chaos, zumindest für das ungeschulte Auge. Für Kenner allerdings hat das Ganze System – oder eben nicht. Hauptsache es gibt Wind.

Abschliessend noch ein kurzes Geständnis:
Eigentlich hätte hätte dies ein Spotguide werden wollen. Ist wohl nicht ganz geglückt. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als einen weiteren Versuch zu starten. So lässt sich dieser Eintrag zumindest mit einem Cliffhanger beenden: …

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Verweise:
¹ vgl. https://www.sonnige-kanaren.de/kanaren-blog/tag/arbeitsvertrage/
² vgl. https://www.tfservice.net/teneriffa/leben/arbeiten/

2 Kommentare zu „Spotguide El Médano – eine Themenverfehlung

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