Die Schweizer Künstlerin Franziska Quadri erzählt im Interview über die Bedeutung von Cannabis im Umgang mit ihren chronischen Schmerzen.
English: Cannabis as painkiller – Interview with Franziska Quadri
Wundermittel … Einstiegsdroge … Schmerzmittel … Hippies … Snoop Dogg … Rastas …
Assoziationen und Stereotype gibt es zuhauf, wenn man an Cannabis denkt. In den Köpfen der meisten Menschen ist diese fingerblättrige Pflanze allerdings mit einem negativen Image behaftet. Kein Wunder, immerhin wurde Hanf in den letzten knapp hundert Jahren weltweit illegalisiert und als „Mörderdroge“ verteufelt. Dass die Gründe hierfür hauptsächlich politischer und wirtschaftlicher Natur waren, ist den wenigsten bewusst. Auch dass Cannabis noch im 19. Jahrhundert eines der meist verkauften Arzneimittel in Europa und den USA war, scheint nicht allzu sehr zu interessieren.¹
Was ich damit auszudrücken möchte ist, dass Cannabis zu Unrecht mit seinem unglamourösen Ruf behaftet ist und es an der Zeit wäre, endlich die Scheuklappen abzunehmen. Das soll nicht heißen, dass Marihuana die Wunderpflanze schlechthin ist, gewissermaßen der Jesus unter den Pflanzen. Natürlich nicht. Vielmehr möchte ich damit zu einem differenzierten Umgang mit dieser über Jahrtausende erprobten Heilpflanze¹ einladen. Der Unterschied zwischen Gebrauch und Missbrauch liegt letztlich auch in der Verantwortung der Konsumenten. Marihuana als gefährliche Droge zu verdammen, während man sich Biere hinter die Binde kippt oder sich mit Fastfood vollstopft, ist nichts anderes heuchlerisch.
Doch genug dazu, wer sich näher mit der durchaus polemisch geführten Diskussion rund um die Legalisierung von Cannabis beschäftigen möchte, findet in den Weiten des Internet genug Information, um sich in der eigenen Meinung zu bestätigen – durchaus praktisch … dieses Internet.

Statt dessen möchte ich hier das Wort an Franziska übergeben, die sich in den letzten Jahren zu einer wahren Expertin in der Nutzung von Cannabis bei chronischen Schmerzen entwickelt hat. Ich habe Franziska auf Teneriffa kennen lernen dürfen, wo sie einige Monate im Jahr verbringt, um dem Schweizerischen Winter und den damit verbundenen verstärkten Schmerzen zu entfliehen.
Hallo Franziska, wenn Du Dich kurz vorstellen könntest.
Ich bin 44 Jahre alt. Vor zehn Jahren brach ich mir bei einem Unfall mit dem Gleitschirm mehrere Halswirbel. Seit diesem Zeitpunkt bin ich vom Hals abwärts gelähmt. Mein Leben änderte sich von einem Moment auf den anderen grundlegend. Meinen Beruf als Grafikerin kann ich heute nicht mehr ausüben. Ich beziehe eine Rente und bin zu 100 % auf Hilfe angewiesen. Ich habe mein Leben aber neu organisiert. Ich verbringe den Sommer in Zürich in der Schweiz und die Wintermonate wegen meinen starken Schmerzen auf den kanarischen Inseln in Teneriffa. Ich arbeite heute als Künstlerin und engagiere mich mit meinen Erfahrungen und den grafischen Fähigkeiten intensiv als Medical Cannabis Aktivistin.
Du nutzt Cannabis als Schmerzmittel. Kannst Du ein wenig über den Schmerz und dessen Ursachen erzählen?
Genau. Durch die Verletzung der Wirbelsäule habe ich starke Spastik und neuropathische Schmerzen. Diese machen mir das Leben zur Hölle. Herkömmliche Schmerzmittel helfen nicht wirklich und haben meinen Körper kaputtgemacht. Vor vier Jahren konnte ich gar nichts mehr essen, habe nach jeder Mahlzeit erbrochen und bin stark abgemagert. Schon während der Rehabilitation im Spital fiel mir auf, dass die anderen Patienten abends Joints rauchten. Als dann eine Freundin im Internet recherchierte, dass Cannabis ein ausgezeichnetes Schmerzmittel ist und gegen die Spastik hilft, habe ich mich sofort darum bemüht, es ausprobieren zu können. Cannabis war für mich nichts Unbekanntes. Ich habe schon vor dem Unfall gerne geraucht und es als Entspannungsmittel nach der Arbeit geschätzt. Ich hatte also keinerlei Berührungsängste. Und die Wirkung war verblüffend. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon fast alle Schmerzmittel ausprobiert. Cannabis war aber unschlagbar. Die verkrampfte Muskulatur löste sich nach dem Rauchen sofort und die Schmerzen wurden gedämpft. Ich war sehr begeistert. Meine Ärzte hat dieses Experiment aber nicht wirklich interessiert. Es ist verboten. Sie können mir nicht helfen. Ich wurde sogar gebeten, mich dabei nicht erwischen zu lassen. Ich liess mich aber nicht davon abhalten. Die Linderung der Schmerzen war so erleichternd, dass es mir egal war, dass es strafbar ist. Zudem tauschte ich mich auch mit den anderen Patienten aus und diese bestätigten meine Erfahrungen. Als ich dann endlich aus dem Spital entlassen wurde, sog ich alles in mich auf was ich über Cannabis als Schmerzmittel fand. Darüber gibt es unzählige Informationen. Meine Selbsttherapie konnte ich dadurch stetig optimieren. Ich weiss genau was ich tue.
Haben Deine Schmerzen einen Einfluss auf Dein Leben? Und wenn Ja, welchen?
Die Schmerzen, die manche Rollstuhlfahrer durch ihre Verletzung haben, das weisst du leider ja selber, sind extrem belastend und bestimmen einen grossen Teil des Lebens. Mein ganzer Körper ist ein verkrampfter, stechend brennender Schmerz, der immer da ist. Werde ich berührt, ist es noch schmerzhafter und mein Körper verkrampft sich durch spastische Krämpfe. Wenn man gesund ist, kann man sich diesen Schmerz nicht vorstellen. Stehen Wetterwechsel bevor, werden die Schmerzen noch schlimmer. Der Schweizer Winter ist für mich nicht mehr aushaltbar. Durch die ständigen Schmerzen sind alle Aktivitäten anstrengend und oft bin ich erschöpft und gehe schon um 19 Uhr ins Bett. Ich habe aber gelernt mit den Schmerzen umzugehen. Ich kann heute meditativ Einfluss nehmen. Dadurch bin ich ihnen nicht mehr so hilflos ausgeliefert und kann mich mental in einen angenehmeren Zustand versetzen. Diese Fähigkeit hat mir sehr geholfen, mit der Schmerzproblematik besser umzugehen.
Was hat Dich dazu bewogen, Cannabis gegenüber klassischen, synthetischen Schmerzmitteln vorzuziehen?

Wie ich oben erwähnt habe, haben mich die pharmazeutischen Medikamente erst richtig krank gemacht. Zu meinen besten Zeiten habe ich über zehn verschiedene verschreibungspflichtige Medikamente eingenommen. Die Schmerzen waren so unerträglich, dass ich alles ausprobiert habe. Die vielen Medikamente machten mir aber meinen Magen und meine Verdauung kaputt. Mein Immunsystem war total am Ende. Mehrere Male landete ich mit Infektionen im Spital und einmal hatte ich eine Thrombose und eine Lungenembolie. Da war mir klar, so kann ich nicht weitermachen. Früher oder später würde ich an einer Lungenentzündung sterben. Das richtige Schmerzmittel hatte ich ja schon lange gefunden. Nur der Zugang zu der Heilpflanze war das Problem. Ich habe dann angefangen grössere Mengen Cannabis auf dem Schwarzmarkt zu kaufen und habe so meine Medikamente kontinuierlich abgesetzt. Heute nehme ich nur noch Cannabis und ein Medikament gegen die Spastik ein. Meinem Magen und meiner Verdauung geht es durch eine Totalsanierung besser. Ich konnte wieder Gewicht zulegen und kann heute wieder mit Appetit essen.
Wie viel Cannabis konsumierst im Schnitt pro Tag und wie konsumierst Du?
Ich nehme sehr hohe Dosen ein und zwar in verschiedenen Formen. Da ich viele andere Schmerzmittel absetzen konnte, ist meine Dosierung nicht verwunderlich. Ich nehme ein Vollextrakt-Cannabis-Öl zweimal am Tag in Kapselform ein (total 300 mg THC²). Dazu esse ich bei hohem Schmerzlevel Cannabis-Kekse über den Tag verteilt. Nimmt man Cannabis über den Magen ein, wirkt es langsamer und länger. Dies ist besonders vorteilhaft für Menschen wie mich mit chronischen Schmerzen bei denen eine konstante Einnahme von Medikamenten erwünscht ist. Da es aber meistens über 2 Stunden braucht, bis die orale Einnahme zu wirken anfängt, greife ich bei spastischen Krämpfen zum Rauchen von Cannabisblüten. Die Wirkung setzt sofort ein und durch das Rauchen kann die Menge gut dosiert werden. Aus Gesundheitsgründen verzichte ich inzwischen auf das Mischen mit Tabak und rauche die Blüten pur als Joint oder verdampfte sie im Vaporizer. Wichtig ist natürlich auch welche Sorte Cannabis zur Verfügung steht. Es gibt Sorten die helfen ausgezeichnet gegen die Schmerzen, manche Sorten sind weniger hilfreich. Es ist also wichtig zu wissen, was man einnimmt. Der Zugang ist aber immer noch miserabel! Du siehst, es ist eine Wissenschaft für sich selber und das Herausfinden der optimalen Therapie braucht seine Zeit. Leider gibt es heute noch keine Ärzte, oder nur ganz wenige, die helfen können. Ich kann nur jedem empfehlen, sich selber weiterzubilden und auszuprobieren. Es ist eine Heilpflanze mit moderaten Nebenwirkungen. Man kann sie je nach Tagesform einsetzen. Es ist aber kein Wunderheilmittel. Meine Schmerzen und die Spastik sind immer noch da, aber ich kann sie so aushalten.
Welche Auswirkung hat Cannabis auf Deine Schmerzen und Deine Lebensqualität?

Cannabis hat mir mein Leben zurückgegeben. Mein Körper konnte sich durch das Absetzen der Medikamente erholen und es hilft mir, positiv mit den Schmerzen umzugehen. Es ist aber nicht nur ein Schmerzmittel, es regt auch den Appetit an und wirkt sich positiv auf meine Psyche aus. Ich gehe sogar soweit zu sagen, dass mir Cannabis das Leben gerettet hat. In der Verzweiflung mit den chronischen Schmerzen war es mein Rettungsanker und hat mir durch die lindernde Wirkung geholfen mit der Situation fertig zu werden.
Du lebst in der Schweiz. Wie ist dort die rechtliche Situation in Bezug auf Cannabis und was bedeutet dies für Dich in deinem Alltag?
Die Situation in der Schweiz ist sehr verwirrend. Cannabisprodukte mit einem THC-Gehalt unter einem Prozent und einem hohen Anteil CBD sind in der Schweiz erlaubt. Diese Produkte helfen mir aber nicht. Ich bin auf hohe Dosen des Wirkstoffs THC angewiesen. Dieses wirkt aber psychoaktiv und wird deswegen als Betäubungsmittel eingestuft und ist in der Schweiz verboten. Wenn man einen Arzt findet, der bereit ist beim Bundesamt für Gesundheit eine Sonderbewilligung zu beantragen, gibt es inzwischen die Möglichkeit einige wenige Cannabis-Medikamente in einer Apotheke zu kaufen. Die Produkte sind aber übermässig teuer und für mich viel zu schwach dosiert. Diese Produkte helfen mir trotz Sonderbewilligung nicht. Ich werde im Moment immer noch gezwungen, mich illegal zu therapieren. Das ist mir schmerzlich bewusst und ist eine starke psychische Belastung. Nicht unbedingt, dass die Polizei vorbeikommen könnte, vielmehr stehe ich unter einem permanenten Beschaffungsstress und habe immer Angst, dass mir mein Medikament ausgehen könnte. Ich kann mir nicht vorstellen einen Tag ohne mein Schmerzmittel zu sein. Jetzt wird dann bald im Schweizer Parlament über eine medizinische Abgabelösung diskutiert und abgestimmt. In der Schweiz brauchen diese Prozesse aber sehr viel Zeit. Es wird noch mehr als vier Jahre dauern bis sich etwas an der Situation ändert. Und so wie ich das einschätze, geht die Regulierung nicht in eine Richtung, die in meinem Fall helfen wird. Es ist nicht vorgesehen, dass die Medikamente von der Krankenkasse übernommen werden. In meinem Fall würde so nur den Eigenanbau infrage kommen. Alles andere übersteigt meinen finanziellen Rahmen.
Als Präsidentin des Medical Cannabis Verein Schweiz setzt Du Dich unter anderem aktiv für eine Legalisierung von medizinischem Cannabis ein. Korrigiere mich, wenn ich mich täusche … aber ich kann mir vorstellen, dass dies ein Kampf David gegen Goliath sein wird. Woher nimmst Du die Kraft trotzdem weiter zu machen?

Wie du an meinen ausführlichen Antworten entnehmen kannst, stecke ich sehr viel Herzblut in meine Arbeit als Cannabisaktivistin. Das tue ich, weil ich ganz genau weiss, dass das was ich mache, das richtige für mich und meinen Körper ist. Ich bin nicht kriminell. Ich lindere meine Schmerzen. In meiner Arbeit als Präsidentin des Vereins habe ich viele Menschen kennengelernt, die genau der gleichen Meinung sind. Wir sind nicht mehr bereit ruhig zu sein und uns zu verstecken. Deswegen stehe ich stellvertretend hin und erzähle unsere Geschichten. Moralisch sind wir im Recht. Wir können nichts dafür, dass uns ein Schmerzmittel hilft, dass im 20. Jahrhundert aus rein wirtschaftlichen Gründen verboten wurde. Das kann man heute schwarz auf weiss belegen. Cannabis ist keine Teufelsdroge. Im 19. Jahrhundert war es weit verbreitet und wurde in der Medizin geschätzt! Ich möchte, dass auch andere Patienten mit chronischen Schmerzen die Möglichkeit erhalten, Cannabis auszuprobieren. Ich werde jedenfalls nicht ruhig sein, bis ich zu meinem Recht komme. Es ist meine Gesundheit.
Das Thema Cannabis findet sich auch regelmäßig in Deiner Kunst. Könntest Du uns ein wenig über Dein Schaffen erzählen?

Ja, ich glaube inzwischen hat fast jedes Bild einen Bezug zu meinem Lieblingsmedikament. Wie ich aber vorher schon gesagt habe, war Cannabis ja auch mein Lebensretter. Die Malerei hingegen ist ein wichtiger Teil der Psychotherapie. Ein Gespräch mit einem Psychologen hat mir nie viel gesagt. Kann ich meine Erfahrungen und Gefühle in Bildern mit Farbe darstellen, hilft es mir sehr. Fast jedes meiner Bilder erzählt eine Geschichte. Manchmal habe ich eine Idee im Kopf. Teilweise entstehen die Bilder zufällig. Meine Kunst ist und war aber immer ein wichtiges Werkzeug auf meinen Weg zurück zu mir. Dieser Unfall hat so vieles zerstört und die Schmerzen machen die ganze Situation nicht einfacher. Die Malerei zeigt mir aber auch, dass ich heute wieder erstaunlich gute Bilder mit meinem linken Arm malen kann. Das hätte ich mir nicht in meinen kühnsten Träumen erhofft, als ich bewegungslos auf der Intensivstation lag.

Hast Du noch irgendwelche abschließenden Worte, die Du an die Leserschaft richten möchtest?
Ich möchte mich herzlich bedanken, dass ich in deinem Blog mit meinem Anliegen zu Wort kommen darf. Es ist wichtig, dass das Stigma der Heilpflanze Cannabis endlich verschwindet. Politisch werden diese Prozesse noch einige Jahre dauern. Ich bin mir aber sicher, dass Cannabis seinen Platz in der Medizin wiederfindet. Inzwischen hat sogar die WHO bestätigt, das Cannabis einen medizinischen Wert hat. Die wissenschaftlichen Beweise sind überzeugend. Die Entwicklung der Cannabisindustrie, wie zum Beispiel in Kalifornien, lässt aber nicht viel Gutes erhoffen. Die legalen Wege sind überreguliert, dadurch steigen die Preise. Inzwischen haben viele Menschen Blut geleckt und wollen mit dem «grünen Gold» reich werden. Ich werde jedenfalls immer dafür kämpfen, dass es den Menschen wieder zurückgegeben wird. Es wäre ein billiges Medikament und wächst wie Unkraut im Garten. Es ist verwerflich ein teures Medikament daraus zu machen und von Patienten zu profitieren!
In diesem Sinn: Legalize it verdammt noch mal! Alles andere ist unmenschlich!
Glossar:
- THC (Tetrahydrocannabinol) ist nicht nur die Haupt- sondern auch die psychoaktive Komponente des Hanfs.¹
- CBD (Cannabidiol) „[…] ist ein nur schwach psychoaktives Cannabinoid [und] unterliegt nicht den Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes.“ Es wirkt unter anderem „[…] entkrampfend, entzündungshemmend, angstlösend und antiemetisch.“¹
Weiterführende Links:
- Franziska Quadri: franziskaquadri.ch; Instagram: franzi_quadri
- Medical Cannabis Verein Schweiz: medcan.ch; Facebook: medcan.schweiz
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Verweise:
¹ vgl. Raab, Angela (2017): Weißbuch Cannabis; Indikationen, Wirkungen, Risiken, Nebenwirkungen
² Näheres zu THC und CBD siehe Glossar